Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Rudolf Steiner entwickelte anthroposophische Geisteswissenschaft zeigt Wege auf, die Gesetzmäßigkeiten von Mensch und Welt besser verstehen zu lernen und dementsprechend zu handeln.
Praktisch entwickelt wurden auf dieser Grundlage u.a. die Waldorfpädagogik, der biologisch-dynamischer Landbau, eine am Sozialen orientierte Wirtschaft und die anthroposophisch erweiterte Medizin und Pharmazie.
Anthroposophie ergänzt als Wissenschaft vom Geist das sich auf das Physische beziehende materialistische Natur- und Weltbild um die übersinnlichen Seinsebenen Leben, Seele und Geist: Sie setzt beim exakten naturwissenschaftlichen Denken an und erweitert die auf das Materielle beschränkten exakten Forschungsmethode nach der Richtung des Geistigen. Die Forschung der anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft bezieht sich auf die Betrachtung des Menschen mit seinem individuellen Wesen, das sich in der Welt körperlich, seelisch und geistig realisiert, sowie auf die den Menschen umgebende natürliche, seelische und geistige Welt.
Ausgehend von der Forschung, hat die anthroposophische Geisteswissenschaft auf die verschiedensten Lebensbereiche erneuernd gewirkt.
Die anthroposophische Erweiterung der Medizin wurde von Dr. Rudolf Steiner in Zusammenarbeit mit der Ärztin Dr. Ita Wegman ab 1920 angeregt und entwickelt.
Sie setzt, um zu objektiven Befunden zu gelangen, die Methoden der naturwissenschaftlich orientierten sogenannten Schulmedizin ein. Für die ganzheitliche Beurteilung von Gesundheit, Krankheit und Heilung – unter Einbeziehung der subjektiven Befindlichkeit und der Biographie wendet sie ergänzend geisteswissenschaftliche Methoden und Forschungsergebnisse der Anthroposophie an. So entsteht für den Arzt ein ganzheitliches Bild vom Kranken als Grundlage für ein individuelles Therapiekonzept.
Therapeutisch verwendet der anthroposophische Arzt – in Abhängigkeit von Art und Schwere der Erkrankung sowie dem Alter und Kräftezustand des Patienten – neben Arzneimitteln der wissenschaftlichen Pharmakologie bevorzugt Präparate auf Naturgrundlage, um die Selbstheilungskräfte beim Kranken anzuregen.Hergestellt werden solche Arzneimittel entweder nach homöopathischen oder eigenen Verfahren in anthroposophischen Arzneimittelbetrieben.
Erweiterung der Medizin in diesem Sinne ermöglicht Allseitigkeit. Sie ergänzt die naturwissenschaftlichen Ergebnisse der modernen Schulmedizin um methodisch erarbeitete Erkenntnisse über das Lebendige, das Seelische und das Geistige im Menschen: Krankheiten oder Befindlichkeitsstörungen stehen immer im Zusammenhang mit der biographischen, sozialen und körperlichen Gesamtsituation des Menschen.
Die Eigenaktivität des Patienten stärkende künstlerische Therapien (therapeutisches Plastizieren, therapeutisches Malen, Musiktherapie, Sprachtherapie und Heileurythmie) werden wie auch die „Rhythmische Massage nach Dr. med. Ita Wegman” ärztlich verordnet und von Fachleuten in Kliniken, Praxen sowie Therapeutika bei akuten und chronischen Krankheiten durchgeführt.
Die anthroposophische Heilkunst hat sich in den 75 Jahren ihres Bestehens in weite Teile der Welt ausgedehnt. Es gibt in 28 Ländern anthroposophische Ärztegesellschaften und weltweit etwa 350 heilpädagogische Einrichtungen (Heime, Tagesstätten, Beratungsstellen und Sonderschulen) für körperlich oder mental behinderte und schwer erziehbare Kinder, Jugendliche und Erwachsene.
In der Schweiz, in Deutschland, England, Schweden und Italien gibt es klinische Einrichtungen, die als Akutkrankenhäuser arbeiten. In Deutschland gehört die anthroposophisch erweiterte Medizin wie die Homöopathie und die Phytotherapie seit 1976 zu den „besonderen Therapierichtungen", für die 1989 im Gesundheitsreformgesetz die Erstattung der Kosten durch die gesetzlichen Krankenkassen vom Grundsatz her geregelt wurde.
1921/22 entwickelte Rudolf Steiner auf Anfrage des Industriellen Emil Molt eine neue Pädagogik. Molt suchte für die Kinder der Arbeiter der Waldorf-Astoria Zigarettenfabrik in Stuttgart ein Schulsystem, das der individuellen Entwicklung des heranwachsenden Menschen gerecht wird: die Waldorfpädagogik.
Zur Zeit gibt es in Deutschland 165 Waldorfschulen mit rund 70.000 Schülern, weltweit sind es über 550 Schulen. Noch größer ist die Zahl der Waldorfkindergärten, die das kleine Kind auf den Eintritt in das Lernalter vorbereiten.
Ein weiterer Impuls, der vom anthroposophischen Denken ausgeht, ist die biologisch-dynamische Landwirtschaftsweise, die unter dem Warenzeichen „DEMETER” ebenfalls eine weltweite Verbreitung gefunden hat. Entstanden ist dieser Landbauimplus bereits 1925 während eines Kurses, den Rudolf Steiner vor Landwirten auf dem Gut Koberwitz abhielt.
Etwa 1.000 landwirtschaftliche und verarbeitende Betriebe in Deutschland besitzen heute die Anerkennung als Demeter-Betriebe (bzw. „biodyn" für Betrieb in Umstellung).
Auch der WELEDA-eigene Heilpflanzenanbau arbeitet nach der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise.
Die Bedeutung der Kunst lag für Rudolf Steiner darin, sinnlich Wahrnehmbares durch individuelles Bewusstsein so zu verwandeln, dass das Kunstwerk Zeugnis von etwas Geistigem ablegt: Der künstlerisch tätige Mensch ergreift sein eigenes Wesen wie auch das der „weltschaffenden Prinzipien", um in dieser Erfahrungswelt letztlich soziale Fähigkeiten zu entwickeln.
Mit seiner Auffassung vom Künstlerischen setzte Steiner wesentliche Impulse für Malerei und Musik, Sprache und Schauspiel und insbesondere für die Architektur (Goetheanum in Dornach/Schweiz) und für die neue Bewegungskunst Eurythmie.
Die Eurythmie versteht sich als sichtbar gemachte Sprache und sichtbar gemachter Gesang. Bestimmte Gesten liegen den Lauten der Sprache und den Tonskalen bzw. Intervallen der Musik zugrunde, die in Raumformen und bestimmten Gesten solistisch oder im Ensemble zur Darstellung gebracht werden.
Aus der Eurythmie als Kunstform entwickelten sich die pädagogische Eurythmie und Heileurythmie.
Die Arbeit der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft am Goetheanum in Dornach umfasst sowohl die anthroposophische Grundlagenforschung als auch die Ausarbeitung neuer Konzepte für verschiedene Praxisbereiche: Sie impulsiert die Ausbildungsinstitute für die anthroposophischen Fachbereiche.
Die Hochschule ist eingebettet in die anthroposophische Gesellschaft, deren Zentrum ebenfalls am Goetheanum ist. Die Verwaltung der anthroposophischen Gesellschaft erfolgt weltweit durch dezentrale Landesgesellschaften (gemeinnützige Vereine).